Wartezeit und Psychotherapie: ein leidiges Thema

Das Thema Wartezeit ist in aller Munde, wenn es um Psychotherapie geht. Oftmals heisst es, dass es bis zu 3 Monate bis zu einem Ersttermin beim Psychotherapeuten dauert und bis zu 6 Monate bis zum Beginn einer Behandlung. Das klingt sicher zu lang, wenn man unter psychischen oder psychosomatischen Symptomen leidet. Zu allem Überfluss fällt es einem dann noch besonders schwer, Dutzende Praxen durchzutelefonieren und sein Anliegen auf Band bzw. auf einem Sprachchip zu hinterlassen. Doch muss es so lange dauern? Und was können Sie tun?

Einige Missverständnisse sollten zunächst ausgeräumt werden

Die zunächst nahe liegende Schlussfolgerung, es müsste einfach mehr psychotherapeutische Praxen geben, damit die Wartezeit sinkt, greift zu kurz. Das Problem ist viel mehr: viele Erkrankte, die in der Warteschleife für einen Termin beim Psychotherapeuten sind, wären gar nicht richtig aufgehoben in einer ambulanten Psychotherapie. Sie fühlen sich krank und leiden unter bestimmten psychischen oder körperlichen Symptomen und beschließen darauf, einen so genannten „Psychotherapie-Platz“ zu suchen. Das hört dann der Psychotherapeut auf seinem AB, schaut in den Kalender, sieht viele Patienten, die er bereits behandelt und ruft nicht zurück, da er einen solchen Platz nicht hat…

Also besteht hier viel weniger ein absoluter Mangel als eine Fehlsteuerung: direkt zum Psychotherapeuten zu gehen, bedeutet das Pferd von hinten aufzuzäumen. Denn Psychotherapie ist eine sehr spezielle Form der Behandlung und sollte gezielt eingesetzt werden – am Ende einer soliden Diagnostik.

Wer diese „Psychotherapeuten“ eigentlich sind

Dazu kommt eine riesige Begriffs-Verwirrung bei den Psycho-Berufen – es gibt nämlich zwei Gruppen von Psychotherapeuten (für Erwachsene):

  • Die Ärztlichen Psychotherapeuten, die Medizin studiert haben, also Arzt + Psychotherapeut sind. Sie können „Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“, „Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie“ sein oder Facharzt einer anderen Fachrichtung wie Allgemeinmedizin oder Gynäkologie sein und die Zusatzqualifikation „Psychotherapie“ besitzen. Sie können körperliche und psychische Diagnosen stellen, Medikamente verordnen, sozialmedizinische Einschätzungen tätigen und psychotherapeutische Behandlungen durchführen sowie eine mehrschichtige Erstversorgung anbieten.
  • Die Psychologischen Psychotherapeuten. Sie haben Psychologie studiert, sind also Psychologen und keine Ärzte und haben im Anschluss an ihr Studium eine umfangreiche psychotherapeutische Ausbildung absolviert. Da sie keine Mediziner sind müssen sie Diagnosen in Zusammenarbeit mit Ärzten erstellen und können natürlich keine Medikamente verordnen oder krankschreiben. Sie sind also versierte Fach-Spezialisten in der Behandlungstechnik Psychotherapie, jedoch keine Körper- oder Psychosomatik-Experten.

Was braucht ein psychisch oder psychosomatisch Erkrankter?

Insgesamt wird viel zu früh und alternativlos nach einer Psychotherapie gesucht oder dahin verwiesen. Das stellen einer psychischen oder psychosomatischen Diagnose ist jedoch nicht spielend leicht, zumal diverse körperliche Ursachen wie z. B. Hirntumoren, Stoffwechselstörungen, Entzündungen, Süchte und neurologische Erkrankungen die Symptome von seelischen Krankheiten imitieren und damit nur vortäuschen. Hier findet sich der Auslöser aber im Körper! Das heisst, wenn Sie sich seelisch beeinträchtigt fühlen, brauchen Sie einen Arzt, der die Ursache Ihres Zustandes gründlich abklärt. Damit kann der Hausarzt beginnen und andere Körperspezialisten und z. B. den Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (Psychosomatiker) hinzuziehen, der Spezialist für die Schnittstelle von Krankheiten an der Grenze von Körper und Seele ist. Zudem ist er der am umfangreichsten ausgebildete Psychotherapeut im deutschen Gesundheitssystem ist. Übrigens: in Deutschland gibt es 66.000 Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Psychosomatische Grundversorgung, die genau die richtigen Ansprechpartner zu einer ersten Abklärung psychischer / psychosomatischer Beschwerdebilder sind!

Heute ist viel bekannt darüber, dass psychische Erkrankungen viel Gemeinsames mit körperlichen Erkrankungen haben – und keine Leiden geringerer Wichtigkeit sind. Depressionen treten z. B. bei Diabetes mellitus viel häufiger auf, u. a. da der Stoffwechsel nicht im Gleichgewicht ist. Die Depression ist eine Krankheit des Körpers und der Seele und kein „psychologisches Problem“. Also egal ob Körper oder Psyche: ab zum Arzt!


Wie finden Sie nun den richtigen Arzt?

Suchen Sie nun einen Termin beim Psychosomatiker (oder einem anderen Arzt) sprechen sie nicht von „Therapieplatzsuche“, sondern davon, Ihren Zustand und ihre Behandlungsmöglichkeiten abklären lassen zu wollen. Die meisten Ärzte können dafür wesentlich schneller Termine anbieten, und auch Sie wollen erst einmal Klarheit über Ihre Krankheit bekommen und darüber, ob überhaupt eine ambulante Psychotherapie oder eher ein Klinikaufenthalt, eine Reha, ein Drogenentzug, eine medikamentöse Therapie oder vielleicht nur eine zeitweise Krankschreibung in Frage kommt. In den meisten Fällen kommt in erster Linie eine andere Behandlung als die klassische, wöchentliche Psychotherapie in Betracht. Bis zum Ersttermin beim Psychosomatiker dauert es im Schnitt nur 12 Tage (1).

Wenn die Psychotherapie angezeigt ist…

Steht Ihre Diagnose längst und ist eine Psychotherapie geplant, kann es hilfreich sein, sich auf Empfehlung von jemandem bei einem Ärztlichen oder Psychologischen Psychotherapeuten zu melden (z. B. von Ihrem Hausarzt). Als recht erfolgreich hat es sich erwiesen, das eigene Anliegen und die Motivation zu einer Therapie kurz per E-Mail zu schildern und um eine Rückmeldung zu bitten. Hier beißt sich die Katze nämlich in den Schwanz: da so viele „fehlgeleitete“ Menschen einen Therapieplatz suchen, für die Psychotherapie gar nicht das Richtige ist, weisen viele Psychotherapeuten die ganzen Suchenden ab. Wenn Sie Ihre bisherige Diagnostik und ihre Begründung für den Therapiewunsch aber benennen können wird deutlich, dass Sie gezielt an Ihrer Gesundung arbeiten wollen und wissen, worauf Sie sich einlassen.

Ein letzter Tipp

Im medizinischen Bereich der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie gibt es Ärzte, die eher auf Psychotherapie spezialisiert sind wie auch die Psychologischen Psychotherapeuten. Und es gibt die Psychosomatik-Ärzte, die s. g. Versorgungspraxen betreiben, vielleicht eine offene Sprechstunde haben und rasch die Diagnostik beginnen können. Hier haben sie auch oft die Chance in eine weitere Behandlung wie eine Psychotherapie innerhalb oder ausserhalb der Praxisgemeinschaft vermittelt werden zu können. Sie könnten in Ihrer Wohnumgebung nach „Psychosomatischer Versorgungspraxis“ oder „Psychosomatischer Sprechstunde“ googeln, um solch ein Angebot aufzuspüren. Eine andere Idee ist, bei Ihrer Krankenkasse nach einem geeigneten Arzt zu fragen.

(1) Alexander Kugelstadt: Wartezeit in der Psychotherapie. Ärztliche Psychotherapie und Psychosomatische Medizin (Vol. 7): Heft 1 2012.

9 Comments Psychotherapie, Wartezeit, Verwirrungen – und welcher Weg Sie in die richtige Behandlung führt

  1. @carola_bach

    RT @akugelstadt: Psychotherapie, Wartezeit und einige Irrtümer. Ich habe mir Gedanken gemacht, was Betroffene darüber wissen sollten: https…

  2. @Dalaimoc

    RT @akugelstadt: Psychotherapie, Wartezeit und einige Irrtümer. Ich habe mir Gedanken gemacht, was Betroffene darüber wissen sollten: https…

  3. @wunnebar

    RT @akugelstadt: Psychotherapie, Wartezeit und einige Irrtümer. Ich habe mir Gedanken gemacht, was Betroffene darüber wissen sollten: https…

  4. Sandro

    Lieber Alexander,

    Danke, dass Du dir die Mühe gemacht hast ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Das hilft vielen Menschen einen Weg zu finden.

    Ein paar Anmerkungen aus meiner Sicht würde ich gerne hinzufügen. Zuallererst mein Hintergrund: Ich bin psychologischer Psychotherapeut und arbeite in einer Tagesklinik mit angeschlossener Psychiatrischer Institutsambulanz (PIA) für Menschen mit Suchtproblemen. Ich behandle in der PIA aber auch Menschen mit anderen Problemen.

    Meine Anmerkungen:

    – „Da sie [psychologische Psychotherapeuten] keine Mediziner sind müssen sie Diagnosen in Zusammenarbeit mit Ärzten erstellen“ Das ist so nicht ganz richtig. Psychologische Psychotherapeuten(PP) können sehr wohl eigenständig Diagnosen erstellen. Was PP machen müssen ist eine somatische Abklärung beim Hausarzt herbeiführen. Der Hausarzt prüft letztlich, ob es somatische Ursachen für die psychischen Probleme gibt und ob es eine Kontraindikation für eine Psychotherapie gibt. Der Arzt stellt nicht die (psychiatrische) Diagnose!

    Ich finde den Artikel sehr einseitig auf Ärzte zugeschnitten. Gerade die Perspektive und die Qualität psychologischer Psychotherapeuten und Psychologen wird dem nicht gerecht.

    Was unstrittig ist denke ich ist, dass psychologische Psychotherapeuten auf Grund ihrer Ausbildung und des Studiums einen sehr hohen Wissenstand und Fähigkeitenstand haben, was Psychotherapie angeht. Und qualitativ sehr gute Psychotherapie machen. Und sie können eben sehr wohl eigenständig psychische Störungen diagnostizieren.

    Hoffe niemand fühlt sich auf die Füße getreten. Ist ganz sicher nicht meine Absicht! Einen schönen Abend allen 🙂

    Danke nochmals für den Artikel. Hat mich inspiriert einen eigenen Artikel zu schreiben. Da ist deine Sichtweise Gold wert. Und hey. Vielleicht machen wir mal einen Podcast zu diesem Thema und bringen die Ideen zusammen?

    lg
    Sandro

    1. Dr. Alexander Kugelstadt

      Lieber Sandro, danke für Deinen Kommentar. Ich habe versucht mit der Textpassage verkürzt zu beschreiben, dass die diagnostische Abklärung eines depressiven Syndroms zum Beispiel, also die Diagnosestellung nicht ausschließlich durch einen Psychologischen Psychotherapeuten erfolgen kann – was aus völlig nachvollziehbaren Gründen auch stimmt: Das vorliegen eines depressiven Syndroms sagt nichts über die Ursache der Beschwerden, diese liegt gar nicht selten in einer körperlichen Ursache, wie beispielsweise einer Schilddrüsenunterfunktion, einer Blutarmut, einer Hepatitis etc. – oder stellt eine Kombination aus psychischen UND körperlichen Auslösern dar. Ich finde nicht, dass es jemanden diskreditiert o. Ä., wenn mann auch mal klar und unverblümt sagt, dass diese Diagnostik daher ärztliche Aufgabe ist und bleiben sollte. Ist das Zusammenspiel von Körper und Seele, bzw. sind psychischen Faktoren abgeklärt, kann die s. g. F-Diagnose auch vom Psychologischen Psychotherapeuten gestellt werden und der Patient behandelt werden. Aber: Die F-Diagnose, also die „psychische“ Diagnose, ist bei vielen Konstellationen eben nur ein Teil des Gesamtbildes – das sollte man immer Bedenken.

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