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Bekommen und Geben in der Marketing-Gesellschaft (und im Werk Erich Fromms)

In seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ (1956) setzt sich der Psychoanalytiker Erich Fromm u. a. mit der im Alltag völlig vergessenen Frage auseinander, wie sich Bekommen und Geben eigentlich zueinander verhalten.

Heutzutage, in der Marketing-Gesellschaft bzw. im Zeitalter der sogenannten „Generation vielleicht“ (Holger Salge) würde die Antwort naheliegen, dass man schon gibt – aber natürlich um dafür wiederum zu bekommen. Mit anderen Worten: man kauft sich, was man möchte und bezahlt für diese Leistung (möglichst wenig) Geld. Gemeinhin scheint dann jedoch die Erwartung angemessen, für das gezahlte Geld eine einwandfreie Leistung zu erhalten, bei der die Gegenseite keinen weiteren Gewinn als den finanziellen zu erwarten habe. Außerdem kann jede nicht makellose Lieferung jederzeit storniert, rückabgewickelt oder beanstandet werden („Generation vielleicht“ eben, vielleicht aber auch nicht).

Aber: macht uns das glücklich?

Im Onlinehandel kann das bestimmt punktuell sinnvoll sein, aber ganz generell würde Fromm sicher mit „nein“ antworten. Er schreibt: „(was Geben heißt) ist doppelsinnig und ziemlich kompliziert. Das am meisten verbreitete Missverständnis besteht in der Annahme, Geben heißt etwas ‚aufgeben‘, dessen man damit beraubt wird und das man zum Opfer bringt (…). Der Marketing-Charakter ist zwar bereit, etwas herzugeben, jedoch nur im Austausch für etwas anderes, das er empfängt; zu geben ohne zu empfangen, ist für ihn gleichbedeutend mit Betrogenwerden.“

Daher rühre laut Fromm auch der Spruch „Geben ist seliger denn Nehmen“, der besage, es sei besser Entbehrungen „zu erleiden“ als Freude zu erfahren. Dabei sieht er gerade im Geben bzw. im Schenken den höchsten Ausdruck des Vermögens: Stärke, Reichtum und Macht. Nicht weil es ein Opfer sei, sondern weil darin die eigene Lebendigkeit zum Ausdruck komme.

Und irgendwann kommt Erich Fromm weg von der Betrachtung des Materiellen, hin zur Untersuchung der Bedeutung für den zwischenmenschlichen Bereich. Eine Frage, die heute zweifellos gesellschaftlich hochinteressant ist. Er fragt: „Was gibt ein Mensch dem anderen? Er gibt etwas von sich selbst, vom Kostbarsten, was er besitzt, er gibt etwas von seinem Leben. (…) er gibt ihm etwas von seiner Freude, von seinem Interesse, von seinem Verständnis, von seinem Wissen, von seinem Humor, von seiner Traurigkeit – von allem, was in ihm lebendig ist.“

Fromm macht deutlich, dass er nicht (nur) private Beziehungen, Liebesbeziehungen meint, sondern den Alltag, überall:

Der Lehrer lernt von seinen Schülern, der Schauspieler wird von seinen Zuschauern angespornt, der Psychoanalytiker wird von seinen Patienten geheilt – vorausgesetzt, dass sie einander nicht wie leblose Gegenstände behandeln, sondern echt und schöpferisch zu einander in Beziehung treten.

Mir scheint das bedeutsam und aktuell zu sein. Erwarten wir zu viel programmiertes, berechenbares Geben von Dienstleistern, Krankenschwestern und -Pflegern, ErzieherInnen usw.? Vertun wir uns die Chance, in einen echten Kontakt miteinander zu treten und etwas Wahres voneinander zu bekommen – ganz gleich, wer gerade eine Leistung zu erwarten hat, und wer der Zahlende ist?

Beitragsfoto: Müller-May / Rainer Funk / CC-BY-SA-3.0 (DE)